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26. Juli 2016

"Ulysses" nichts dagegen – Ein neues Verzeichnis von Franz Schuberts Erstausgaben

- von Eberhard Köstler -

Der Umfang des „Ulysses“ ist nichts dagegen. Michael Raabs nahezu 1000 Seiten starkes Verzeichnis von Franz Schuberts Werken in Erst- und Frühdrucken ist eine kolossale Bereicherung und keinesfalls nur ein elegantes Spielzeug für bibliographische Nerds. Den Spezialisten schließt es eine lange als schmerzlich empfundene musikbibliographische Lücke. Für Debütanten bietet vor allem Raabs ausführliche und scharfsichtige Einführung in sein opus magnum ein (dringend notwendiges) Lehrbuch des Musikantiquariates. So etwas hat es bisher noch nicht gegeben.



Noch 2004 musste Ernst Hilmar in seinem Schubert-Lexikon konstatieren: "Die Erstdrucke von Schuberts Werken sind ... noch nicht vollständig bzw. systematisch erfaßt und beschrieben worden." (1)  Denn obwohl der Nestor der Schubert-Quellenforschung Otto Erich Deutsch (1883-1967) bereits 1926 einen vielversprechenden musikbibliographischen Versuch vorgelegt hatte (2), führte er dessen Ansätze in seinem Werkverzeichnis (3)  nicht konsequent fort. In seinem Versuch hatte er 1926 festgestellt, wie wichtig die diplomatische Wiedergabe der Musiktitel  sei, und er hatte auf Plattennummern, Verlagsadressen, Preisangaben, Titelillustrationen, Textveränderungen etc. als Datierungshilfe hingewiesen. Sein Werkverzeichnis verzeichnet die Erst- und Frühdrucke jedoch nur in sehr verkürzter Form. Hier nun schließt sich die neue Bibliographie von Michael Raab an. Sie beschreibt die Erst- und Frühdrucke von Schuberts Werken erstmals aufgrund von Autopsie aller ihm greifbaren Exemplare mit ihren Unterscheidungsmerkmalen und geht den Erscheinungsdaten mit Hilfe zeitgenössischer Anzeigen und anderer Quellen auf den Grund.

"Print on demand" galt vor 20 Jahren als dernier cri unten den Verlagen: geringe Materialkosten und leichte Lagerhaltung sprachen dafür. Erfunden wurde POD allerdings von den Musikverlegern der Schubertzeit: sie zogen von den Platten ihrer Drucke nur so viele Exemplare ab, wie sie glaubten, auf Anhieb verkaufen zu können. Erst wenn diese vergriffen waren, druckte man - oft mit kleinen Korrekturen - nach; auch wenn die nachfolgenden Tranchen in der Druckqualität abnahmen. Das ist nur eine von vielen wichtigen Erkenntnissen, welche von Michael Raabs Schubert-Drucke-Verzeichnis von der Ahnung zur Gewissheit erhoben werden.