.

18. Dezember 2017

Die Kunst des Kompositums

- von Barbara van Benthem -

Donnerstag ist ein besonderer Tag. Donnerstag ist Buchhaltungstag. Donnerstag kommt Irmi und bringt die Buchhaltungsordner in Ordnung. Nur so zeigt sich der Steuerberater bereit, die Umsatzzahlen an das Finanzamt weiterzureichen, was zumeist zu einer Steuernachzahlung führt, die einen erneuten Buchungsbeleg generiert, den Irmi an einem der nächsten Donnerstage mit allen anderen Belegen aufs Neue abheftet. Was interessiert das Finanzamt Starnberg III schon die Schönheit der Briefe und Manuskripte von Thomas Mann oder Marcel Proust, wo doch ein Bewirtungsbeleg aus der Tutzinger Filmtaverne auch ein durchaus anständiges, eigenhändig signiertes Schriftstück mit gedrucktem Briefkopf darstellt? Noch dazu vorsteuerabzugsfähig. In Deutschland muss alles seine Ordnung haben, weshalb sich Antiquare mindestens einmal pro Woche mit Umsatzsteuervorauszahlungen, Gewerbesteuerpauschalen, Differenzbesteuerungen und Sozialversicherungsabgaben herumschlagen.


Für diese fiskalen Kalamitäten gibt es etwas, worum uns die englischsprachige Welt glühend beneidet: das deutsche Kompositum. Von den Sprachgesellschaftern um Justus Georg Schottelius und Kaspar Stieler im 17. Jahrhundert zur Mehrung der „Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs“ erfunden, hat die bundesdeutsche Regulierungswut des 21. Jahrhunderts das Kompositum zur Perfektion pervertiert. Nur die deutsche Sprache besitzt Wortungetüme wie Kulturgutschutzgesetz, Reisekostenabrechnungspauschale oder die sogenannte „innergemeinschaftliche mehrwertsteuerfreie Lieferung“ samt „Umsatzsteueridentifikationsnummer“, wofür das Englische gerade einmal drei Buchstaben übrig hat: VAT. 

Bald ist wieder Donnerstag. Manchmal wünschte ich, die Welt wäre so einfach wie im Antiquariat von Bernard Black im fernen, fiktiven London (von der Gaststättenrichtlinienverordnung einmal abgesehen).


10. August 2017

Wenn’s um die Wurst geht

- von Barbara van Benthem - 


Über eine bekannte Angebotsplattform für antiquarische Bücher erreichte uns kürzlich eine Anfrage. Der Kunde interessierte sich für einen Brief von Ernst Barlach. Wie immer hatten wir den Text transkribiert, die historischen Hintergründe des Briefes ebenso wie die Vergleichspreise der letzten, sagen wir, 20 Jahre, gründlich recherchiert und den Brief samt Inhalt und Adressaten so ausführlich wie möglich (und nötig) beschrieben. Nun war ein Foto gewünscht. Natürlich kamen wir diesem Wunsch gern nach, denn auch wenn jedes Foto eines Unikates dieses Unikat dem Mainstream etwas näher bringt, ist es verständlich, dass niemand die Katze im Sack kaufen möchte. Auf unsere umgehende Beantwortung der Bildanfrage flatterte uns ein Angebot ins Haus:

Sehr geehrte Frau van Benthem,

herzlichen Dank. Ich habe mir den Brief angesehen und wäre durchaus an einem Erwerb interessiert, halte aber den Preis für deutlich überhöht. So ist beispielsweise bei Ketterer ein Brief Barlachs an den Freund Leo Kestenberg inkl. beigelegtem Druck und Schreiben von Friedrich Dross für 759,- Euro versteigert worden.

Der von Ihnen angebotene Brief ist dagegen nicht nur deutlich kürzer, sondern auch relativ unpersönlich (ohne namentliche Anrede) an einen Geschäftspartner gerichtet. Ich könnte mir daher einen Betrag von maximal 500,- Euro als Kaufpreis (inklusive versichertem Versand) vorstellen. Falls dies für Sie von Interesse ist, lassen Sie es mich gerne wissen.

Mit freundlichen Grüßen aus XX


Unseren Barlach-Brief bieten wir nach reiflicher Überlegung für 1500 Euro an und halten diesen Preis keinesfalls für überzogen. Im Gegenteil. Noch bevor ich ob solcher Unverschämtheit schon frühmorgens an die Decke ging, ging mein Mann ins Büro, blätterte seine Recherchen durch und antwortete folgendermaßen:

Sehr geehrter Herr XX,

herzlichen Dank. Ich halte Ihr Angebot für deutlich unterschätzt. So ist beispielweise bei Stargardt (2011, Star 697, 514) ein Brief Ernst Barlachs an den Maler Hans Ralfs in der Heilanstalt Neustadt, Holstein (Güstrow 20.XII.1930, 2 S.) für 4800,- CHF versteigert worden. Ich könnte mir daher einen Betrag von mindestens 4000.- Euro als Kaufpreis (inklusive versichertem Versand) vorstellen. Falls dies für Sie von Interesse ist, lassen Sie es mich gerne wissen.

Mit freundlichen Grüßen vom Starnberger See


Man könnte nun des längeren und breiteren über die Unterschiede zwischen Auktions- und Antiquariatspreisen räsonieren. Man könnte in Rechnung stellen, dass der Ketterer-Preis aus dem Jahr 2003 stammt, also 14 Jahre alt ist, während der Stargardt-Preis aus dem Jahr 2011 näher an die Gegenwart heranreicht. Man könnte den Zuschlagspreisen Aufgelder und Mehrwertsteuern hinzurechnen, wodurch man bei 18 oder mehr Prozent Aufgeld und 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Autographen (7 Prozent bei Büchern) schon in andere Regionen vordringt. Man kann die in einer Auktion suggerierte sensationelle Einmaligkeit des punktuellen Angebotes in Betracht ziehen, ganz ähnlich wie auf dem durch die Republik tourenden Hamburger Fischmarkt, auf dem Fisch Fiete immer noch einen drauf tut, „und noch einen! Und noch einen!“. Wir können auch ganz einfach nur darauf verweisen, dass eben manchmal per Zufall im selben Auktionssaal zwei oder mehrere Interessenten sitzen, die sich gegenseitig hochbieten, und manchmal per Zufall gar niemand der avisierten Interessenten erscheint und ein zufällig Glücklicher, der aus einem ganz anderen Kaufinteresse im Saal sitzt, mit einer glücklichen Zuckung in letzter Sekunde die Hand hebt und den Barlach, wie bei Ketterer, vor dem einsamen Rückgang in die Magazine rettet. Man könnte es aber auch lassen.

Wenn ich jetzt gleich Bratwürstchen für unseren Grillabend hole, werde ich nicht wie üblich „Servus und Grüß Gott“ sagen, sondern ich werde ein Angebot unterbreiten:

Liebe Frau Vogerl,

Ich habe mir ihr Angebot in der Wursttheke angesehen und wäre durchaus an einem Erwerb ausgewählter Stücke interessiert, halte aber den Preis für deutlich überhöht. So ist beispielsweise bei Aldi kürzlich ein fränkischer Bratwurstverschnitt inkl. beigelegter Zusatzstoffliste für 2,98 Euro verkauft worden.

Die von Ihnen angebotene Bratwurst ist dagegen nicht nur deutlich kürzer, sondern auch weniger reichhaltig (ohne namentliche Zusatzstoffe). Ich könnte mir daher einen Betrag von maximal 1,25 Euro als Kaufpreis (inklusive Einkaufstüte) vorstellen. Falls dies für Sie von Interesse ist, lassen Sie es mich gerne wissen.

Mit freundlichen Grüßen aus Tutzing, Ihre
Barbara van Benthem


Mal schauen, was sie sagt.

(Foto: Nevine Marchiset)

23. Mai 2017

Hans Schneider (1921-2017), Bayer und Sir: Sein Leben war die Musik und das Buch

- von Eberhard Köstler - 

Niemand hat in den letzten sechzig Jahren das deutsche Musikantiquariat so sehr verkörpert wie Hans Schneider. Man hat ihn für sein segensreiches Wirken mit Orden und Ehrentiteln überhäuft. Nun ist er - am 9. April 2017 - im Alter von 96 Jahren gestorben.


Im kleinen Ort Tutzing am Starnberger See hat er mit Blick über die südliche Seehälfte und auf die Alpenkette sein Geschäft mit Beharrlichkeit, profunder Kenntnis und Fingerspitzengefühl zum Erfolg geführt. Die gesamte musikwissenschaftliche und musikbibliothekarische Welt pilgerte zu ihm auf das in Tutzing so genannte „Schneider-Bergl“, dem Sitz eines der bedeutendsten Musikantiquariate der Welt.

Der von seinen Mitarbeitern liebevoll "Ha-Es" genannte Dr. Hans Schneider wurde am 23. Februar 1921 in Eichstätt geboren und gründete im Oktober 1949 nach Studien in München, Innsbruck und Uppsala am Starnberger See sein Musikantiquariat, dem er durch überragendes Wissen und kaufmännisches Geschick Weltgeltung verlieh. Die wichtigsten Musikautographen und Notendrucke gingen durch seine Hände, darunter Haydns "Lerchen"-Quartett, Mozarts Klaviervariationen KV 455, das Klarinetten-Konzert in Es von Carl Maria von Weber, der vollständige Text von Wagners „Lohengrin“ sowie zahlreiche Manuskripte und Briefe von Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner, Chopin, Liszt, Mendelssohn-Bartholdy, Reger, Schubert, Schumann, Verdi und vielen anderen. Auch ganze Bibliotheken hat Hans Schneider vermittelt. So gelangte etwa die Sammlung des berühmten Haydn-Forschers Anthony van Hoboken (1887-1983) über ihn in die Österreichische Nationalbibliothek. Über 480 Antiquariatskataloge, die von Sammlern und Wissenschaftlern als erstrangige Informationsquelle geschätzt werden, geben von dieser Tätigkeit Kunde.

Ein Hauptinteresse Schneiders war lebenslänglich die Musikbibliographie. Ein Grundsatz seiner Arbeit war, dass kein Musikdruck undatiert das Haus verlassen dürfe. Schon sein Kollege Jürgen Voerster stellte vor Jahren fest, Schneider habe "mehr Musikdrucke datiert und bibliografisch erfasst als die gesamte Fachwissenschaft".

Im Jahre 1958 ergänzte Hans Schneider sein Antiquariat durch einen  musikwissenschaftlichen Verlag, in dem er rund 1300 Monographien, Standardwerke und Zeitschriften publizierte. Dieses enorme verlegerische Schaffen, das der Antiquar sozusagen „im Nebenberuf“ bewältigte, wurde 2003 von H. Holzbauer in einem vierbändigen Katalog der Universitätsbibliothek Eichstätt gewürdigt und erschlossen. Aber auch als Musikforscher trat Hans Schneider hervor, mit bahnbrechenden Arbeiten über die Musikverlage von Heinrich Philipp Boßler (1744-1812), Johann Michael Götz (1740-1810) und Makarius Falter (1762-1843).

Zu Wien, der europäischen Hauptstadt der Musik, hatte Hans Schneider ganz besondere Bindungen. Die Österreichische Nationalbibliothek hat er ebenso mit seinen Schätzen bereichert wie das Archiv der "Gesellschaft der Musikfreunde in Wien". Der Direktor dieses Archivs und langjährige Wegbegleiter Otto Biba hat in einer Gedenksendung des Klassik Radios Hans Schneider als "Antiquarius und Verleger ohnegleichen" anhand von ausgewählten Erwerbungen porträtiert und seine vielfältige Persönlichkeit sehr treffend als „Kombination aus Bayer und Sir“ charakterisiert.

Die Reihe seiner Verdienste (die Bundesrepubliken Deutschland und Österreich sowie Bayern verliehen ihm Verdienstorden, die Universität Eichstätt das Ehrendoktorat, die Gemeinde Tutzing die Ehrenbürgerschaft, zahllose Gesellschaften und Vereine Ehrenmitgliedschaften) wäre nicht komplett, ließe man den von skurrilen Einfällen und Wortspielen überbordenden, reich sprudelnden Humor Hans Schneiders außer Acht. Von Zeit und Zeit brach dieser sich in fingierten Antiquariatskatalogen Bahn, die zum Beispiel einer  "Musikbibliothek des Luxusdampfers Bremen" gewidmet waren.  So findet sich auch in seinem Nachlass ein graphischer Zyklus von Wolpertinger-Darstellungen, dessen künstlerischer Höhepunkt ein entzückender "Lebe Wol Pertinger" ist.

Nun  ist Hans Schneiders Lebensmusik ausgeklungen,  sein Lebensbuch ist geschlossen und wir sagen ein letztes Mal: "Lebe wohl, Hans Schneider".

8. Februar 2017

Fluch der Karibik in Tampico

- von Barbara van Benthem - 

Die „Legende vom Ozeanpianisten“ erzählt die Geschichte des kleinen Jungen Neunzehnhundert, der im Jahr seiner Namensgebung an Bord der „Virginian“ vom Heizer Danny Boodmann gefunden und in einer kuschelig schaukelnden Wiege inmitten des Maschinenraums liebevoll großgezogen wird. So liebevoll, dass sich Neunzehnhundert zeit seines Lebens nicht von seiner Heimat – dem Ozeandampfer – trennen mag, eine Weltkarriere als Jazzpianist in den Wind schlägt und die Liebe seines Lebens über die Gangway ziehen lässt, nur um an Bord zu bleiben, wo sein Zuhause ist – so friedlich familiär, wie er es sich dort draußen nicht besser wünschen könnte. Eine Idylle wie in einem Heimatfilm der Fünfzigerjahre mit Marianne Koch in der Hauptrolle, gäbe es nicht den großen Showdown, in dem Neunzehnhundert als letzter Passagier auf der „Virginian“ lieber den Tod durch Schiffsexplosion wählt, als vom echten Leben zu kosten.

Das Leben auf See muss so schön sein.

Oder auch nicht.

An Bord des Öltankers „Irma Schindler“ war etwa zur selben Zeit auf einer ganz ähnlichen Route die Hölle los. Die „Irma Schindler“ pendelte zwischen Philadelphia und Tampico. Wer wegen der desaströsen Zustände an Bord nicht krank wurde, schlug sich krankenhausreif. Ungesichert umherfliegende Ölfässer, verrutschte Ladungen, ein Leck im Tank waren ebenso an der Tagesordnung wie wüste Schlägereien, Besäufnisse, Glücksspiel, Bestechung und Meuterei. Wer beim Pokern gewonnen oder durch Gaunerei an Geld gekommen war, beglückte die Damen in den billigen Hafenbordellen, das restliche Kleingeld investierte man in Rum, Schnaps und Tabak. Und in jedem Hafen, schreibt der Zahlmeister, wurden reihenweise kranke gegen frische Matrosen eingetauscht. In seinem Tagebuch notiert er:

"Ankunft erste Reise in Tampico am 10ten Ocktober, 'Sensation' Großer Stierkampf in der Messe: II. III. IV. Masch. Koch + Messraum Steward; wobei der IIte Maschinist Herr Tensch: durch den Lagerhalter eine väterliche Abreibung bekam, die ihm nach seines Erachtens eine Gehirnerschütterung einbrachte ect. [...] schwere Stürme, wobei die ungelöschten Oelfaesser im Bunker umher rollten, verschiedene liefen halbleer, eines brach in sich zusammen + lief ganz aus [...]. Reise III. Tampico am 21ten Dez. Maschinist + Assi - im Angetrunkenen Zustande den IIten Offizier Herr Mayer vertrümmt [...] und Herr Meyer sah aus wie ein Ochse der aus einem Schlachthause kommt [...] am selbigen Tag verholte sich Herr Klebe IIter Offizier mit seinem Freunde nach einem Bordell, wo die 20 Dollars Gold ins rollen gebracht wurden, die wie sich heraus stellte: Schmiergelder waren [...]. Am 7ten Oktober in Galveston desertierten die 2 Leichtmatrosen [...]. Am 12ten April wurde der IIte Offizier von Herrn Bapt. Maash von der Brücke geordert, wegen Trunkenheit, vom 3ten Maschinisten die Nacht zuvor in seiner Kabine erhielt er eine Wucht, die am nächsten Tag wegen Beleidigung des Lagerhalters Boock aufgefrischt wurde [...]. Selbigen Tages dessertirten der Pantry Junge Koepke + der Maschinenreiniger Braaten. Am Abend war grosses Bordfest in der Löwenhöhle; Der IIte Offz Mayer tanzte an Deck umher mit einem Totschläger [...]".

Der 110 Meter lange Öltanker war 1901 in England für die Bear Creek Oil & Shipping Company gebaut worden und kam 1927 in den Besitz der Hamburger Reederei von Julius Schindler, der das Schiff nach seiner Frau Irma benannte. Bis 1931 steuerte die „Irma Schindler“ Philadelphia und Tampico, manchmal auch Hamburg, Manchester und Brunswick an. Dann ging sie in den Besitz der Hamburger Firma Leth & Co. über, bevor sie 1944 vor Pauillac versenkt wurde. Julius Schindler war ein angesehener Hamburger Mäzen und Kaufmann. Ihm gehörten seit 1901 die Oelwerke und die Tankschiffreederei Julius Schindler; für die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung spendete er 35.000 Reichsmark. Im Herbst 1931 musste das Ehepaar Schindler mit den Kindern aus Deutschland emigrieren; sie wurden liechtensteinische Staatsbürger und gingen über die Schweiz zunächst nach Frankreich, von dort 1939 weiter über Kanada in die USA. 1938/39 wurden die Oelwerke und die Reederei von den Nazis "arisiert", Schindler starb 1941 in New York. Zum Gedenken an ihre Eltern stifteten die Kinder die "Julius and Irma Schindler Memorial Scholarship" an der Universität Haifa.

Was bleibt von „Irma Schindler“? Die „Noticen während der Reisen Tampico - Philadelphia von Ockt. 29 – Ockt. 30“, vom Zahlmeister in einem unscheinbaren Heft festgehalten, lesen sich wie ein Roman, brutaler als die „Meuterei auf der Bounty“, besser als „Fluch der Karibik“. Die einfühlsame Legende vom Ozeanpianisten erzählt dagegen bei aller poetischer Schönheit nicht vom wirklichen Leben an Deck – das fand zwischen den Heftdeckeln dieses und anderer Schiffstagebücher statt. Captain Jack Johnny Depp Sparrow hat die Karibik überlebt, ob er auch die „Irma Schindler“ überstanden hätte?

Schiffstagebuch - Anonymus, Noticen während der Reisen Tampico - Philadelphia von Ockt. 29 - Ockto 30. T. S. "Irma Schindler". Hamburg, Tampico, Philadelphia u.a., 1929-1930. 8°. 21 Seiten in Tinte, 41 weiße Blatt. Schwarzes Hlwd.  700 €


Bei Interesse senden Sie uns bitte eine E-Mail. Wir senden Ihnen gerne eine ausführliche Beschreibung und weitere Fotos.

20. Januar 2017

Ideale Liebe - Ideale Landschaft - Ideale Kunst

- von Barbara van Benthem -

Nackerte Barockengelchen in lasziven Posen, barbusige androgyne Schönheiten im Art Deco Ornament, sex without crime im Schäferidyll, und über allem schwebend ein gehörnter Ziegenbock ... Nein, man kann die Geschichte von Daphnis und Chloë auch ganz anders betrachten.


"Das Gedicht ist so schön, daß man den Eindruck davon, bei den schlechten Zuständen, in denen man lebt, nicht in sich behalten kann, und daß man immer von neuem erstaunt, wenn man es wieder liest." Goethe war in seinen Gesprächen mit Eckermann 1831 voll des Lobes für das Hirtengedicht des Longus, das er für ein Meisterwerk hielt, "worin Verstand, Kunst und Geschmack auf ihrem höchsten Gipfel erscheinen, und wogegen der gute Virgil freilich ein wenig zurücktritt".


"Daphnis und Chloë" ist das einzig bekannte Werk des griechischen Dichters Longus, das dieser gegen Ende des 2. Jahrhunderts auf der Insel Lesbos geschrieben haben soll, und zugleich die erste große bukolische Liebesgeschichte. Das Schäferidyll handelt von der erwachenden körperlichen Liebe der Findelkinder Daphnis und Chloë in einer heilen Welt. "Keine Spur von trüben Tagen, von Nebel, Wolken und Feuchtigkeit, sondern immer der blaueste, reinste Himmel, die anmutigste Luft und ein beständig trockener Boden, so daß man sich überall nackend hinlegen möchte. Das ganze Gedicht verrät die höchste Kunst und Kultur ... und eine Vollkommenheit und Delikatesse der Empfindung,die sich dem Besten gleichstellt, das je gemacht worden." Derart goetheanisch hochgelobt hatte "Daphnis und Chloë" 1831 längst den Siegeszug durch Malerei, Musik und Literatur angetreten.
1559 übersetzte Jacques Amyot "Daphnis und Chloë" ins Französische, worauf der Roman zur Grundlage der Schäferidyllen des Barocks und aller weiteren künstlerischen Adaptionen wurde. Bekannt sind heute die musikalischen Bearbeitungen von Maurice Ravel und Jacques Offenbach oder die herrlichen Malereien und Graphiken von Marc Chagall und Aristide Maillol. Auch eine Verfilmung gab es schon 1931 mit dem ersten griechischen Kinoklassiker von Orestis Laskos, dessen Nacktszenen für Furore sorgten. Vom 18. bis ins 20. Jahrhundert schufen Illustratoren, Typographen, Drucker und Buchbinder wie Philippe d'Orléans, Henri le Riche, Renée Sintenis, Otto Hettner, die Brüder Kleukens oder Susan Allix bibliophile Meisterwerke, in denen sie die Auffassung von idealer Liebe in idealer Landschaft nach den Vorgaben der idealen Kunst ihrer Zeit in Buchform brachten. Die beiden Liebenden auf Lesbos haben so auch ein Kapitel der Bibliophilie geschrieben. Dass ihre Geschichte "in der Altertumswissenschaft bis vor wenigen Jahrzehnten als voyeuristisch, ja sogar als pornographisch betrachtet wurde, dürfte seiner Popularität [dabei] eher genutzt als geschadet haben."



Der Graphiker Werner P. Hoffmann war ein leidenschaftlicher Sammler, der sich den verschiedensten Sujets gewidmet hat. Eine seiner Vorlieben galt "Daphnis und Chloë". Ihm und seiner Frau sei der Katalog zugeeignet, in dem wir einige der schönsten buchkünstlerischen Arbeiten über die ideale Liebe in idealer Landschaft vorstellen.


Daphnis und Chloë - Aus der Sammlung Werner P. Hoffmann. Katalog 160B. Eberhard Köstler Autographen & Bücher oHG. Tutzing, Januar 2017. Mit vielen Illustrationen. 

Gedruckter Katalog auf Anfrage, PDF-Katalog zum Download hier.