Ein Artikel von Sabine Bader in der Süddeutschen Zeitung:
Wer das schafft, kann sich glücklich schätzen: Den Eheleuten Barbara van Benthem und Eberhard Köstler ist es gelungen, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Die beiden Antiquare haben sich auf den Vertrieb von Autographen spezialisiert, also handgeschriebenen Briefen von bekannten Persönlichkeiten. In diesem Jahr können sie in Tutzing bereits ihr 20-jähriges Firmenbestehen feiern.
"Jedes Stück gibt es nur einmal, und sie alle geben Einblicke in die Persönlichkeit des Schreibers", sagt Köstler. Seine Frau veranschaulicht dies anhand eines Beispiels: "Man kann noch so viele Bücher über Bertolt Brecht und die Frauen lesen, bekommt man aber einen Brief von ihm an die dänische Schauspielerin Ruth Berlau in die Hand, kann man das, was man in der Biografie gelesen hat, nachvollziehen." Es sind die kleinen Einblicke ins Privatleben von Schriftstellern, Malern und Komponisten, die die Arbeit der Eheleute so spannend macht. Zwei Fährtenleser auf Entdeckungstour. "Man erlebt jeden Tag schöne Überraschungen", sagt die 57-Jährige.
Von Arbeit wollen die Eheleute im Zusammenhang mit ihrem Beruf ohnehin nicht sprechen. "Das ist doch gar keine Arbeit", protestiert der 63-jährige Köstler prompt. Ein Ankauf um 22 Uhr, das kann schon vorkommen. Und neulich haben sie glatt ein ganzes Wochenende darüber gefachsimpelt, ob Arnold Schönberg Minderwertigkeitsgefühle hatte oder nicht. Auf den Gedanken waren sie über Schönbergs Korrespondenz im Zusammenhang mit einem Konzert zu Ehren Albert Einsteins in der New Yorker Carnegie Hall gekommen.
Auf dem Klavierhocker im Esszimmer der Tutzinger Eheleute steht eine Schachtel. "Unbekannte Flugobjekte" nennen sie Kisten wie diese mit Briefen und Handschriften, deren Verfasser sie erst näher sichten müssen. Kartons dieser Art sind selten und stammen entweder aus Sammlungsauflösungen, Nachlässen oder Archiven. Wenn man Glück hat, findet sich darin die ein oder andere spannende Rarität - wie hier zum Beispiel ein Brief von Cosima Wagner. Im Normalfall kaufen Köstler und van Benthem aber sehr gezielt ein - meist zum Weiterverkauf, teilweise fungieren sie aber auch als Vermittler.
Seit bald 20 Jahren tüfteln die beiden nun Arbeitszimmer an Arbeitszimmer in ihrem Tutzinger Privathaus und entziffern Handschriften, rekonstruieren Werdegänge, Hintergründe, Beziehungen und tauchen dabei ein in andere Leben. Da war zum Beispiel ein undatierter Brief von Bertolt Brecht an seinen Schulfreund, den deutsch-österreichischen Bühnenbildner Caspar Neher. Bei ihren Recherchen haben die Eheleute herausgefunden, dass dies der erste Brief Brechts nach seiner Rückkehr aus dem Exil nach Berlin war. "Unsere Kunden haben oft nicht so viel Zeit, um Buchstabe für Buchstabe zu entziffern", sagt Köstler.
Längst führen die beiden ihren Versandhandel gemeinsam. Ist der Inhalt eines Briefes erst einmal entschlüsselt, wird er für den Kunden aufbereitet und auf säurefreiem Papier ausführlich beschrieben. Dies alles ist trotz ihres Fachwissens nur möglich, weil die beiden Antiquare über eine umfangreiche Fachbibliothek verfügen - natürlich nicht daheim in ihrem Wohnhaus, sondern ein paar Straßen weiter, nahe der Tutzinger Kirche Sankt Joseph.
Wer jetzt meint, das Antiquariat besuchen zu können, der irrt. Es ist kein richtiges Ladengeschäft mit Öffnungszeiten, obwohl die Werke penibel sortiert und aufgereiht in den deckenhohen Regalen zum Schmökern einladen. Doch die rund 10 000 alphabetisch geordneten Bände dienen den Eheleuten ausschließlich als Nachschlagewerke für die Recherche. "Wir garantieren auch lebenslang für die Echtheit der Dokumente", sagt van Benthem. "Nichts verlässt unerforscht das Haus."
Die Eheleute nennen dies "veredeln". Es versteht sich von selbst, dass die beiden alle wertvollen Schriftstücke nicht bei sich im Haus lagern, sondern sicher im Banktresor aufbewahren. Ist ein Brief von Thomas Mann, Bertolt Brecht, Franz Liszt, Richard Wagner, Lyonel Feininger oder Joan Miró erst einmal veredelt, wird er mitsamt Beschreibung und Echtheitszertifikat fein säuberlich verpackt, und es geht auf die Post. Alle Bestellungen sind selbstverständlich versichert. Versandt wird weltweit, Vorkasse gibt es bei den beiden nicht. "Wir vertrauen unseren Kunden", sagen sie. In der Regel kennt man sich, entweder von Korrespondenzen und Telefonaten oder auch persönlich von Antiquariatsmessen in Stuttgart und Paris oder von Auktionen. "Mit manchen Kunden wird man gemeinsam alt", sagt Köstler. Vertrauen ist wichtig in diesem Geschäft. Schließlich geht es um stattliche Summen.
Wer ein besonders rares Stück erwerben möchte, muss schon einige 10 000 Euro hinblättern. Und das ist noch nicht einmal die oberste Preisklasse. Bei Mozart oder Bach kann es in die Millionen gehen. "Wir sind nicht im High-End-Bereich tätig", sagt Köstler. Aber auch ein handgeschriebenes Notenblatt von Richard Strauss ist für Sammler so interessant, dass es gleich verkauft ist. Zu den Käufern zählen nicht nur Stammkunden, manchmal fragen auch Kinder und Enkel an, für die Briefe von Eltern und Großeltern als Erinnerungsstücke von Bedeutung sind. Oder ein Kunstsinniger leistet sich als Geschenk für einen Freund eine handsignierte Autogrammkarte. Für Letztere muss man um die 50 Euro ausgeben.
Vielen Leuten sind sie noch ein Begriff, die hauchdünnen Seiten der "Merkhefte" des Verlags Zweitausendeins, in denen eine wilde Mischung aus Büchern, Platten, Plakaten und Buttons versammelt war. Längst haben sie Kultstatus erlangt. Wer einen der monatlichen Kataloge mit Briefen und Manuskripten der Tutzinger Antiquare in Händen hält, fühlt sich zumindest haptisch an sie erinnert. Die Kataloge enthalten Angebote für Kunden. Es gibt aber auch einen Online-Shop auf der Webseite und einen Newsletter.
Ja, und dann haben die beiden noch zwei Steckenpferde: Sie lieben Musik, vor allem Jazz - sie spielt Bass, er Saxofon, Flöte und auch mal Klavier. Die Spielfreude kann auch in einen kleinen Hausmusikabend zu zweit münden. "Natürlich nur mit geschlossenem Fenster", sagt die Hausherrin. Ob Pauline Schmidt, die Katze, es goutiert, ist offen ...
Veröffentlicht in der SZ vom 16. Oktober 2020 (Fotos: Georgine Treybal) >>> WEITERLESEN