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11. Juni 2019

Zensur in Ungarn - Béla Bartók bringt sein Geld ins Ausland

Zensur und Einschränkung der Pressefreiheit, Niedrigzinspolitik in wirtschaftlich unsicheren Zeiten. Schon Béla Bartók transferierte 1931 einen Teil seiner Einnahmen ins Ausland, um der drohenden Inflation in Ungarn zu entgehen. Und er fuhr extra nach Wien, um diesen politisch hochbrisanten Brief in einer delikaten finanziellen Angelegenheit an der ungarischen Zensur vorbei zu schleusen.


Zensur in Ungarn

Bartók, Béla, Komponist (1881-1945). Eigenh. Brief mit U. Wien, 17. XII. 1931. Fol. 1 1/2 Seiten.

3200 Euro

"[...] die wirtschaftliche Lage ist bei uns, wie Sie wohl wissen, so unsicher, dass ich womöglich meine künftigen Einkünfte aus dem Auslande in einem weniger unsicheren Land aufbewahren möchte [...] dürfte ich Ihnen von Zeit zu Zeit kleinere Beträge (gelegentlich meiner Konzertreisen) überweisen lassen, die Sie dann in einer guten Bank legen und für mich bewahren würden? Es tut nicht, wenn auch die Einlagen niedriger (oder vielleicht garkeine) Zinsen tragen, auch können dieselbe auf 1 Jahr gebunden (? lekötve) sein. Wenn ich dann später eventuell dieselben oder einen Teil davon brauche, würden Sie den Betrag mir zukommen lassen? Da wir zur Zeit eine (allerdings schwer durchführbare) Briefzensur haben, schreibe ich Ihnen über diese Angelegenheit aus Wien; ich bitte Sie, Ihre Antwort auf meine Adresse in Budapest (Kavics u. 10) zu richten und mir vorsichtig diesbezüglich nur soviel zu schreiben, ob Sie geneigt wären,  mir  in  dieser  Angelegenheit  zur  Hilfe  zu  sein. - Wir leben in grosser Unsicherheit, und wer noch Pengö's hat, versucht durch Einkäufe deren loszuwerden. Diese Zustände sind freilich nur teilweise, der Verschwendungssucht unserer Regierung zuzuschreiben; leider werden selbst noch heute von unseren leitenden Personen unverzeihliche Missgriffe begangen [...].  Inzwischen habe ich eine Reihe von Duetten für 2 Violinen über Volkslieder geschrieben [...]".



Der Brief ist nicht verzeichnet in den deutschen und ungarischen Ausgaben von János Demény (Briefe  1973 und Levelei 1976). Am selben Tag schrieb Bartók laut Demény von Budapest aus auch an Schott's Söhne in Mainz, er ist also für den hier vorliegenden Brief, vorbei an der von ihm erwähnten ungarischen Zensur, tatsächlich nach Wien gefahren. Erwähnt werden am Schluss Bartóks Duette für 2 Geigen, die in Erich Dofleins Publikationen "Das Geigen-Schulwerk" und "Spielmusik für Violine" 1932 erstmals erschienen. - Briefe von Bartók in deutscher Sprache, zumal politischen Inhalts, sind außerordentlich selten.  (52096)

4. Juni 2019

Max Reinhardt lässt sich scheiden - Lou Andreas-Salomé tröstet die Verflossene

Es geht doch nichts über die beste Freundin! Vor allem in harten Zeiten, wenn einen der Ehemann für eine Jüngere verlässt und sich das Leben so grundlegend auf den Kopf stellt, wie Frau es nicht erwartet hätte.

Wohl auf Vermittlung Gerhart Hauptmanns hatte Lou Andreas-Salomé von 1905 bis 1908 mehrmals Max Reinhardt und seine Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin besucht, darunter auch Else Heims, seit 1910 Max Reinhardts erste Ehefrau. Doch schon 1913 lernte Reinhardt die 16 Jahre jüngere Schauspielerin Helene Thimig kennen, für die er im Sommer 1919 Familie, Frau und Kinder verließ. Else Heims-Reinhardt versuchte die Scheidung zu verhindern, es folgte ein langjähriger Scheidungskampf. 1931 zog Max Reinhardt extra ins liberalere Lettland, um dort eine Scheidung zu erwirken. Else Heims focht die Scheidung an, erst 1935 kam es durch Vermittlung des gemeinsamen Sohnes Gottfried zu einer finanziellen Einigung und einer endgültigen, amtlichen Scheidung von Else und Max Reinhardt. In all den Jahren stand Lou Andreas-Salomé ihrer Freundin Else zur Seite, wie die folgenden beiden Briefe beweisen:




"immer erneute Sinnesverwirrung"

Andreas-Salomé, Lou, Schriftstellerin, Psychoanalytikerin und Muse von Nietzsche, Rilke und Freud (1861-1937). Eigenh. Brief mit U. "Ihre alte Lou". Göttingen, "Montag" (um 1919). 4°. 3 1/2 Seiten. Doppelblatt.

1600 Euro

Sehr inhaltsreicher Brief an die Schauspielerin Else Heims-Reinhardt, am Beginn ihrer Trennung von Max Reinhardt: "Gestern sprach ich Hedwig Kontor. und war nicht wenig betrübt, so ungute Nachrichten über Ihr Ergehen zu bekommen! [...] Ueber R. denk ich so imgrunde: ob nicht in seiner schöpferischen Begabung was ist, was ihn von dorther in immer erneute Sinnesverwirrung reißt, - wissen Sie, ähnlich, wie ein Lyriker stets neue Lieben anschmachtet, die doch  nur  lyrische  Gelegenheiten  sind  und  seine  'Dauergefühle'  nicht  berühren;  nur  daß  bei  R.’s  schrecklicher  Potenz die Dinge so leiblich ablaufen. Tatsächlich sind diese Dinge doch nicht im Zentrum seines nordischen Wesens. Ich weiß ja nichts, doch alles spricht dafür, sowohl sein Verhältniß zu Ihnen, so wie es trotz und während solcher Zeiten manchmal blieb, als auch seine Seltsamkeiten als ob er überhängt am Weibe und irrtümlich seiner Grundsensation [?]. Jedenfalls ist er eine Mengung von großen und von argen Eigenschaften, die irgendwie nicht zu trennen sein mögen. Das Furchtbare ist jedoch, daß Sie leiden, Sie sollen auch elend aussehen. Was machen wir nur, Else? [...] Liebe Else, schreiben Sie mir doch noch von allem so daß ich ein Bild kriege: Oft mein' ich: mit R. sprechen wär gut, - ob das ginge? [...]" - Vgl. Ursula Welsch und Dorothee Pfeiffer, Lou Andreas-Salomé. Leipzig 2006, S. 120 f. - Spuren von Tesafilm im Falz, gelocht und mit Hinweis "Scheidung" von anderer Hand auf Seite 1.  (52110)



"Die Allgemeinheit empfängt, nur die einzelne Frau neben ihm leidet"

Andreas-Salomé, Lou, Schriftstellerin, Psychoanalytikerin und Muse von Nietzsche, Rilke und Freud (1861-1937). Eigenh. Brief mit U. "Von Herzen Ihre Lou". (Göttingen), ohne Jahr (um 1925). Fol. 2 Seiten.

1600 Euro

Langer, tröstlicher Brief an die Schauspielerin Else Heims-Reinhardt, über deren Trennung von Max Reinhardt: "[...] Als Mutter der Beiden [Söhne Wolfgang und Gottfried] müssen Sie  doch so zugehörig sich fühlen, wie eben nur eine Mutter es darf: weit über alles Persönliche hinaus bleibt ja M. R.’s Werk bestehen und gerade durch diesen persönlichsten Kern ja auch als das Ihre. Else, das muß auch über das Traurige im Personenschicksal hinübertragen: so natürlich Ihre Trauer als Frau auch ist, müssen Sie sich doch sagen: wer so viel schuf, wie M. R., der kann nicht umhin, auch zu nehmen! Die Allgemeinheit empfängt, nur die einzelne Frau neben ihm leidet [...]. Es hätte ja auch eine oberflächliche Zwischen-leidenschaft ein Anlaß sein können: da es aber so dauernd und alles beeinflussend blieb, wie Sie es selbst schildern, umfaßt es doch auch ein Recht [...]. Sie tun etwas Böses an Ihnen selber, indem Sie den Einfluß der anderen Frau auf 'Betreiben' und 'Intrigen' zurückführen. Durch die Söhne bleibt Ihnen so Vieles. Zerbrechen Sie es sich nicht durch ein Zurückbleiben hinter dem Schicksalswollen [...]". - Vgl. Ursula Welsch und Dorothee Pfeiffer, Lou Andreas-Salomé. Leipzig 2006, S. 120 f. - Gelocht, mit Hinweis "ER v MR" von anderer Hand auf Seite 1.  (52095)